Das Training fing für mich spitze an. Mehrere super Leute kennengelernt. Motorradfahrer und Rennfahrer sind schon besondere Menschen. Die super Hilfsbereitschaft wurde mir am nächsten Tag eindrucksvoll bestätigt. Am zweiten Tag fuhr in der schnellsten Gruppe anscheinend nur einer schneller als ich. Er trainierte viel mit Toni Mang. Es ging alles sehr leicht für mich, ich wurde wohl etwas zu sorglos.
Dann der dritte Turn, zweite Runde. In den langsameren Kurven habe ich mich schon an reichlich Schräglage gewagt. Eigentlich kam es mir kaum noch vor wie ein Wagnis, die Reifen hafteten und ich war ganz locker.
Die vorletzte Kurve, sie ist die schnellste des Kurses. Die Schnellsten fahren da mit - ich schätze - 200 und schleifendem Knie durch. In der zweiten Runde wollte ich noch nicht ganz so schnell, aber 190 können es schon gewesen sein.
Eine kleine Konzentrationsschwäche - mir war die Linie nicht ganz gegenwärtig. Ich nahm etwas Gas weg. Dann nahm die Sache ihren Lauf...
Das Vorderrad rutsche weg. Ich fiel nicht tief, weil ich schon hohe Schräglage hatte. Erst rutschte ich, dann überschlug ich mich oft. Ich spürte mehrere dumpfe Schläge gegen Kopf und Rücken. Man sagte mir, das Motorrad flog zwei Meter in die Luft. Das Ganze soll verdammt spektakulär ausgesehen haben. Ich war bedient.

Die Sanitäter und der Arzt untersuchten mich lange. Zum Glück konnten sie keine ernsthafte Verletzung feststellen. Aber meine R6, wie die aussah!

Was ich daraus fürs Fahren gelernt habe:
(1) In schnellen (z. B. 190 km/h) Kurven, durch die man mit hoher Schräglage fährt (Knie schleift oder kurz davor), muss man das Gas ziemlich weit aufgedreht haben. Nur dann ist der Grip optimal. Man hat da ja einen hohen Gang (5. oder 6.) drin, d. h. das Drehmoment am Hinterrad ist ziemlich gering. Damit der Grip optimal ist, muss ja durch die dynamische Radlastverteilung ca. 60% des Gewichts auf dem Hinterrad sein. Der schnellste Fahrer bei dem Training (der Sportsfreund von Toni Mang) sagte mir:
- Er fährt im 5. Gang mit 3/4 Vollgas durch die schnellste Kurve von Anneau du Rhin (mit der neuen 1000er Kawasaki Ninja)
- Er lenkt da sehr spät ein, wo er schon fast meint, im Kiesbett zu sein. Dann lenkt er aber schnell ein. Im Endeffekt reduziert das bei gleicher Geschwindigkeit die Schräglage.
Ich wusste ja, dass man in hoher Schräglage auf keinen Fall bremsen sollte und das etwas Gas gut ist. Aber das es bei hoher Geschwindigkeit und Schräglage so viel Gas sein muss, wusste ich noch nicht. Lieber etwas langsamer in die Kurve reinfahren, aber dann in der Kurve das Gas ziemlich weit aufgedreht haben.
(2) Ende der zweiten Runde sind die Reifen noch nicht warm genug. In den langsamen Kurven konnte ich schon Knie schleifen. Aber in der sehr schnellen Kurve ist das Vorderrad sehr plötzlich weggerutscht. Keine Chance zum Reagieren gehabt. Herbert Speer, der Veranstalter des Trainings und selber häufiger Rennstrecken-Fahrer, sagte mir: Die ersten zwei Runden muss man noch mit geringer Schräglage fahren. Auch in der dritten sollte man noch vorsichtig sein. (Mein Unfall passierte ja Ende der zweiten Runde, höchstens Ende der dritten, ich weiß es nicht mehr ganz genau). Er rechnete kurz vor, dass sich Reifenwärmer schnell lohnen. Ich werde mir bald welche kaufen.
(3) In Hochgeschwindigkeitskurven ist Schluss mit lustig. Man darf sich da nicht die geringste Konzentrationsschwäche erlauben, wenn man schnell fährt. Der Sturz mit 190 war nämlich gar nicht mehr witzig. Viele haben danach heftige Brüche, manchmal auch Schlimmeres. Mein Schutzengel muss in dem Moment hellwach gewesen sein. Viele haben sich gewundert, dass mir nichts Ernsthaftes passiert ist. In den 80 km/h Kurven auf der Rennstrecke sind Stürze ziemlich harmlos. Wenn man da einen Fehler macht, geht's meistens nur ins Geld. Aber bei 190... man muss wohl nicht viel mehr dazu sagen. In Zukunft werde ich mich noch mehr vor und in den schnellen Kurven konzentrieren.
(4) Ich denke darüber nach, ob ich in schnellen Kurven überhaupt noch am Limit fahren sollte. Verdammt gefährlich. Ich denke auch nach, ob ich überhaupt nochmal auf Zeit oder im Wettkampf fahren soll. Wozu? Ich hätte bei dem Sturz sterben können, ist es das wert? Ich muss nicht mein Geld damit verdienen, es geht doch eigentlich nur um den Spaß. Und der ist bei mir in den langsamen Kurven sowieso größer als in den schnellen.
(5) Referenzpunkte: Sonst habe ich sie immer sehr ausgiebig benutzt, war fast abhängig davon. Diesmal ging es gut mit wenig Referenzpunkten. Aber in der schnellen Kurve hätte ich sie stärker benutzen sollen. Dann wäre mir der Fehler da wohl nicht passiert.
(6) Wenn die Reifen soviel Grip haben, dass man in langsamen Kurven problemlos Knie schleifen kann, heißt das nicht, dass der Grip auch zum Knieschleifen in schnellen Kurven reicht. Obwohl die Fliehkraft ja bei gleicher Schräglage gleich sein sollte. Hängt vielleicht damit zusammen, dass das Fahrwerk bei hoher Geschwindigkeit ggf. Unebenheiten schlechter ausgleicht.
Hier zur Abwechslung auch noch was, das ich richtig gemacht habe (ich war ja wohl nicht ohne Grund der zweitschnellste in der schnellsten Gruppe): Möglichst früh nach dem Bremsen vor/in einer Kurve sollte man sanft wieder Gas geben. Das habe ich sehr gut hinbekommen, wodurch ich schnell und logischerweise sehr schräg durch die Kurven fahren konnte. Auch die Kurvenausgangsgeschwindigkeit ist dadurch hoch. Das mit dem frühen Gas geben werde ich beibehalten. Bei hoher Schräglage im niedrigen Gang darf man natürlich nicht viel Gas geben, aber im hohen Gang sollte man ziemlich viel Gas geben.
Zum Schluss auch noch was Gutes: Mein Händler hatte Mitleid mit mir und hat mir einen Spitzen-Super-Wahnsinns-Schleuder-Preis für eine nagelneue R6 gemacht.

Mich würde besonders Feedback zu (1) interessieren. Wie sehen andere das? Die Leute, mit denen ich bis jetzt darüber gesprochen habe, sehen es ungefähr so wie von mir zusammengefasst.
P.S.: Bilderken reiche ich nach, sobald sie bei Sportfoto Trescher im Internet stehen.